Nadine Schneider
Laurin Gutwin
Laurin Gutwin

TEXT Nadine Schneider (D)

Nadine Schneider liest auf Einladung von Brigitte Schwens-Harrant den Text „Quarz“. Sie finden hier einen Auszug und einen Link zum gesamten Text als .pdf.

Vor dem Fenster ist es schwarz. Das Draußen ist nur der gespiegelte Lichtkegel der Schreibtischlampe, dahinter ein Gesicht, das nicht zu erkennen ist. Vielleicht ist der Himmel mittlerweile wolkenlos und voller Sterne. Vielleicht steht jemand auf der leeren Straße und starrt auf das Fenster, schaut herein. Man hätte nicht sehen können, ob dort jemand steht.

Am nächsten Morgen hat das Haus neue Schlieren. Das weißeste Haus in der Straße hat eine beschmutzte Fassade. Wer macht sich die Mühe, in der Wiese nebenan im nassen Dreck zu wühlen und so weit zu werfen, über den Zaun und den Vorgarten hinweg. „Das kann man streichen“, sagt mein Vater. Man brauche nur eine höhere Leiter, die fehle ohnehin, die müsse man besorgen. Dass so weit nur ein Mann werfen könne, meint meine Mutter. Mein Vater und ich zucken die Schultern.

Es ist ein Dorf, in das wir gezogen sind, man muss es nicht anders bezeichnen. In dem Dorf haben die Leute Namen, die allen ein Nicken entlocken, wenn man sie erwähnt. Zu den Namen gehören Generationen und Häuser mit von der Zeit grau gewordenen Fassaden, bemoosten Jägerzäunen und Thujahecken, die so dick sind, dass sie die Zäune auf die Wege biegen. Es ist ein Dorf, in dem manche mit fast fünfzig Stundenkilometern durch die Spielstraße fahren, und jeder fürchtet sich um die Kinder, aber keiner sagt etwas. In dem Dorf waren lange Zeit viele Wiesen leer. Im hohen Unkraut standen Anzeigetafeln mit Telefonnummern von Baufirmen und die Kinder aus den Straßen nebenan kamen in die Neubausiedlung wie an einen Ort, den sie noch nicht kannten. Sie kletterten auf die Stahlträger der Werbetafeln und die Erdhügel der ersten Baustellen. In den nahegelegenen Wald durften sie zum Klettern nicht gehen, so als wäre dort einmal etwas passiert.

Man baut auf quarzigem Boden hier. Das sagte mein Großvater, während er eine Handvoll Sand durch die Finger rieseln ließ, Sand, in dem etwas wachsen sollte, Zuckerschoten, Bohnen, Tomaten, Salat. Gemüse und Obst, an das Läuse und Schnecken, Frost und Hagel kommen sollten wie biblische Plagen. Auf dem ersten eigenen Grundstück in Deutschland wuchs nichts Vernünftiges. Vieles verdarb oder schmeckte schlecht, war ungenießbar, aber über Quarz wusste ich nur, dass man ihn in einem blassen, weiß durchsetzten Rosa als Kettenanhänger und Lampen kaufen konnte. Als meine Eltern mich mit in den Baumarkt nahmen, sah ich die Quarzlampen zum ersten Mal. Sie standen in einer Abteilung mit den gurgelnden Zimmerbrunnen, vor denen ich lange Zeit verbrachte, um zuzusehen, wie das immergleiche Wasser über winzige Mühlenräder plätscherte, vorbei an Bäumen und den beleuchteten Fenstern eines Hauses. Wenn meine Eltern mit ihren Einkäufen fertig waren, holten sie mich dort wieder ab.
Unser Garten war am Anfang ein Stück brache Erde, an dem die Leute nicht vorbeigingen, ohne auf das Hausgerippe zu starren. Sie starrten lange, bevor sie grüßten. Bis es einen Rasen gab, grub ich im Boden und sammelte Steine, die ein wenig zu glänzen begannen, wenn ich sie an der Kleidung rieb. Meine Eltern pflanzten kleine Thujahecken, und mein Großvater zog einen Jägerzaun. Meine Großmutter kaufte einen Gartenzwerg, der halb so groß war wie ich, und wenn wir an den ersten Sommertagen draußen saßen, im Schatten eines orange-weiß gestreiften Sonnenschirms, mein Großvater im Unterhemd, mit nassgeschwitzen Schläfen und Sand unter den Fingernägeln, dann stand der Gartenzwerg dabei, als würde er dazugehören.