Fritz Krenn
WDW-Film
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TEXT Fritz Krenn (A)

Fritz Krenn liest auf Einladung von Klaus Kastberger den Text „Mr Dog“. Sie finden hier einen Auszug und einen Link zum gesamten Text als .pdf.

Die vom Autor wieder und wieder erwartete Durchsage war lange nicht zu vernehmen. Er stand an der Tür des S-Bahnzuges und wartete auf die Einfahrt in die Station.
Dann doch, „Pankow“, so plötzlich wie unerwartet diese Lautsprecherstimme. Und abermals „Nächster Halt Berlin-Pankow“…
Auf seinem Zettel stand der Name jener bedeutenden Schriftstellerin. Die Gassenbezeichnung, die Nummer des Hauses.
Unweit der Station befinde sich das Reduit, wie es dem Autor mit einer gewissen Behutsamkeit erklärt worden war. Das Reduit der Schriftstellerin, der großen Staatsschriftstellerin.
Zwar sei das Anwesen in der beginnenden Dämmerung in der Reihe dieser durchaus morbiden Villen mit dem gänzlich überbordenden Efeubewuchs schwer auszumachen, doch nähere man sich dem Garten, begegne man ohnedies unübersehbar wie unüberhörbar Mr. Dog, dem Hüter seines Reviers.
Vom Hund wusste der Autor bloß den Namen, Mr. Dog. Nichts sonst.
Das Konterfei der Schriftstellerin kannte er lediglich aus dem Verlagsprogramm.
Ob er richtig war vor dieser oder vor der nächsten Villa, eine Frage, ob er überhaupt richtig war an der nächsten Kreuzung, ebenso eine Überlegung.
Man sprach von einer Lesung im kleinen Rahmen bei der Grande Dame der einstigen DDR-Literatur, man sprach von einer Lesung im Salon bei der über alle Maßen bedeutenden Schriftstellerin.

Der Autor, der Fremde ganz auf der Suche nach der Villa, hatte das Knurren in seiner unmittelbaren Umgebung nicht sogleich als Gefahr wahrgenommen.
Seien sie vorsichtig, sagte eine Männerstimme vom Podest des Vorhauses vor der eben hinter ihm sich schließenden Eingangstür herunter und machte so zugleich den Schriftsteller auf das etwas ramponierte Gartentor aufmerksam.
Das aggressive Knurren des Hundes war für den Autor Mahnung genug.
Der Hund müsse vor dem Gast erst weggesperrt werden. Der Mann streckte die Hand zur Begrüßung nach dem Fremden aus und wiederholte: „Der Hund muss vorerst noch weggesperrt werden.“ Später, nach dem üblichen abendlichen Rundgang, werde Mr. Dog, so nannte er seinen Hund, zur Gesellschaft vorgelassen.

Man warte schon auf den Autor.
Nach dem Eintreten in den Salon wurde die Tür sogleich vom Herrn des Hauses wieder hinter dem Gast geschlossen. Das aggressive Hundegebell schien sich in andere Räumlichkeiten zu verflüchtigen. Während es im Salon behutsame Annäherungen gab, konnte man die Schritte des Hausherrn zuerst im Vorhaus, später über die wenigen Stiegen bis hin zum Gartentor vernehmen. Auch das Geräusch der Kette konnte man hören, dazu die Bewegungen des bellenden wie kläffenden Hundes beim nächtlichen Auslauf sich vorstellen.
Ja, der Autor lebte seit einigen Monaten in dieser für ihn fremden Metropole. Ein in die Jahre gekommenes Professorenehepaar, der Mann mit Cordhose und Brille, die Frau mit einem Faltenrock, ebenso mit Brille, und beide trugen den gleichen Pullover. Dreifärbig, in den Landesfarben, schwarz, rot, gold quergestreift, der Rundkragen ein in denselben Farben äußerst kunstvoll gestrickter Ährenkranz, fragten sie beinah synchron solche und ähnliche Fragen:
Wie es sich oder aber auch wo es sich besser lebte …?