Katharina J Ferner
Mark Daniel Prohaska
Mark Daniel Prohaska

TEXT Katharina J. Ferner (A)

Katharina J. Ferner liest auf Einladung von Brigitte Schwens-Harrant den Text „1709,54 Kilometer“. Sie finden hier einen Auszug und einen Link zum gesamten Text als .pdf.

Mir träumt: hundertsechzig Hektar Rennstrecke. Eine Treibjagd durch Schönbrunn. Die Eichhörnchen bleiben vorsorglich auf den Bäumen. Eine paar Studentinnen haben einen Fuchs gesichtet, in Laufschuhen machen sie sich auf den Weg. Die Kieselsteine spritzen in alle Richtungen. Zooesel und Kutschpferde scharren nervös mit den Hufen. Ich sehe die Meute von der Gloriette aus kommen, ein wilder Haufen, der so gar nicht in die idyllische Aussicht passt. Es stimmt, ich habe den Fuchs im Labyrinth gesehen, werde ihn den Jägerinnen aber sicher nicht verraten. Sie sind mit Wasserpistolen und Keschern bewaffnet und rücken stetig näher. Der Weg auf den Hügel macht ihnen sichtlich zu schaffen. Keuchend kommen sie an, ein Teil der Munition geht für die gegenseitige Abkühlung drauf. Der Fuchs wird leichtes Spiel mit ihnen haben. Ob sie wissen, wie so ein Tier aussieht? Wie scheu es sich verhält, wenn es von Menschen aufgestöbert wird? Von einer Studentin erfahre ich, dass dies nicht ihr erster Ausflug ist. Das Programm ist Teil ihrer Ausbildung; ein Seminar, das die Studierenden dem Leben in der Großstadtwildnis näherbringen soll. Tiere aufzuspüren ist eine ihrer Aufgaben. Sie haben sich zuvor gegen Tollwut impfen lassen. Der Fuchs lässt sich selbstverständlich nicht blicken. Es ist eine Kohlmeise, die letztlich dran glauben muss.

Mir träumt: siebzehn Hektar Meer. Wir sind in den Zoo eingebrochen, um in der Nacht zwischen Quallen zu schwimmen. Unser ursprünglicher Plan, ans Meer zu fahren, ist wegen der Reisebeschränkungen vertagt. An Neujahr hast du plötzlich keine Lust mehr zu warten. Wir machen uns auf, die dunklen Schwimmanzüge unter den Mänteln verborgen. Du willst auch Flossen einstecken, was ich zu auffällig finde. Wir rufen ein Taxi. Zum Zoo ist es nicht weit, aber es gilt immer noch die Ausgangssperre. Wir lassen unsere Mäntel am Eingangstor hängen und klettern über die Eisenstangen. Der Einbruch ist überraschend einfach. Wir sind schon so oft hier gewesen, dass wir den Weg zum Aquarium auch im Finstern finden. Mit Nasenklemmen und Schwimmbrillen ausgerüstet gleiten wir ins Wasser. Die fluoreszierenden Tiere treiben wie Geister an uns vorbei. Du lachst und hustest Salzwasser. Ich schlage vor, auch die Pinguine zu besuchen, wenn wir schon hier sind, aber du lehnst ab. Jedes Tier zu seiner Zeit.

Mir träumt: viertausend Quadratmeter Baustelle. Das Haus des Meeres steht vor der Insolvenz. Die Stadt will nicht länger für die Tierchen berappen und die Privatanleger suchen neue Investmentprojekte. Die Tierfreundinnen bündeln noch einmal ihre Kräfte: Aus WG-Zimmern werden Aquarien und Terrarien, aus den angekündigten Demonstrationen Spinnenbefreiungsaktionen. Die Stadt versucht, die Aufrührerischen zu besänftigen. Das Museum im Treppenhaus soll erhalten bleiben, doch die Fische passen nicht so recht zur Stadtgeschichte. Schließlich wird entschieden, die genießbaren am Naschmarkt anzubieten. Auch Reptilien sind bei Gourmets durchaus gefragt, ergeben sie doch ein gepflegtes Mahl.