Lesung Laura Freudenthaler
WDW Film
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Jurydiskussion Laura Freudenthaler

Die Österreicherin Laura Freudenhtaler wurde eingeladen von Brigitte Schwens-Harrant, sie las den Text „Der heißeste Sommer“. Die Jury befand großes literarisches Talent, Klaus Kastberger fühlte sich zum ersten Mal an Ingeborg Bachmann erinnert.

Der Text erzählt die Geschichte einer verletzten Frau und ihres Mannes, die sich auf dem Land erholen, dort einen der heißesten Sommer samt Mausbeobachtungen und Erdfeuer erlebt.

Insa Wilke zeigte sich fasziniert, wie unterschiedlich Texte gemacht seien, es tauchen hier auch einige Motive von Lydia Haider auf, die aber völlig anders verwendet werden. Der Text beschreibe völlig nüchtern, wie Dinge außer Kontrolle geraten. Auf eine paradoxe Weise kommuniziere er, zum Beispiel habe man es mit einer Mäuseplage, einer realen Bedrohung, zu tun und dann mit dem Mythos des Feuers, wo sich jemand mit Göttern anlegt. Freudenthaler ziehe da Sprachenergie heraus.

Kastberger fühlt sich an Bachmann erinnert

Klaus Kastberger sagte, der Texte zeige eine ganz andere Tonlage. Heuer fühle er sich zum ersten Mal an der Namensgebung des Bachmannpreises erinnert. Nahe an Marlen Haushofer, an der Tradition der österreichischen Literatur. „Das ist stilistisch in einer unaufgeregten Art und Weise vorgetragen, keine Künstelei, Sätze sind kalt und deutlich. Ich habe keinen gefunden, der mich gestört hätte.“ Sie sei ein Shootingstar, sie könnte eine aus den tausend sein, die bleiben könnte.

TDDL 2020 Laura Freudenthaler bei der Lesung
ORF/Johannes Puch

Tingler vermisst den Plot

Philipp Tingler sagte, er müsse die Lobeshymnen unterbrechen. Am Anfang habe er sich über den Text gefreut und mit Begeisterung gelesen. Er registriere ein großes Talent für Verdichtung. Man wünscht sich aber irgendwann, die Autorin würde das große Talent in den Dienst einer Geschichte stellen. „Es ist eine größere konstruktivere Herausforderung, einen Plot zu präsentieren“. Er möge besessen von Handlung sein, aber das Talent, eine Geschichte zu erzählen, gehöre dazu.

Winkels schloss sich an Tingler an, die atmosphärische Dichte erreiche ihn, aber die dräuende Apokalypse bleibe stecken, es gebe zuviele lose Fäden. Beide Helden seien Pyromanen, die Motive seien da, verlieren sich aber. „Man bleibt in einem Rätsel gefangen“, ihm sei der Wille zur Verrätselung zu stark ausgeprägt.

Belehrung von Insa Wilke Richtung Tingler

Insa Wilka meinte zu Tingler, man schließe einen Großteil von Literatur aus, wenn man immer einen Plot erwarte. Eine Frage an den Texte betreffe die Motive – man sei bei den Mäusen, dann werde auf das Feuer umgeschaltet, das könne sie sich nicht erklären.

Wiederstein ging auf die Plotfrage zurück, er frage sich, wo das Problem sei, der Text sei doch plotdriven. Die Charaktere treiben die Handlung voran. Er habe sich gewundert, dass der Text nicht von Klaus Kastberger mitgebracht worden sei. Die beiden Teile des Textes arbeiten seiner Meinung nach aber nicht zusammen.

Tingler sagte, das sei ja der Makel in der Konstruktion.

Wiederstein stimmte zu.

Gomringer dachte viel über Text nach

Gomringer sagte, die Kohärenzsuche habe sie sein lassen. Sobald ihr klar wurde, dass sich die hoch sensible Menschenperson oder auch eine Gottheit, einen Ton in der Luft vernehmen könne, den niemand wahrnehme. Dieser Ton sei mit Feuer verbunden. Über diesen Text habe sie am längsten nachgedacht. „Ich blieb immer wieder rätselnd am Text hängen.“

Brigitte Schwens-Harrant stimmte zu, ihr sei es mit dem Text auch so gegangen. Als sie den Text gelesen habe, sei das wie das von Insa Wilke am Vortag angesprochene Geschenk an die Leser gewesen. Sie störe das Wort Verrätselung – denn es stecke soviel drin, dass man immer wieder etwas Neues verstehen und sehen wolle. Die Brände und Plagen gebe es ja wirklich, das sei gar nicht so fiktiv. Die Geschichte sei verstörend, werfe viele Fragen auf.

Der Text irritiere auch, wenn man sich genau anschaue, wie die Sätze gebaut seien. Beispiel: Das Ich liegt im Bett „Ich höre sie über meinem Kopf außen an der Mauer entlang“, da müsse man fragen, wen denn „sie“. Es sei auch die Rede von einer Horde, das sei ja ein extrem unangenehmes Wort, wenn man allein im Bett liege. Die Geschichte habe also verschiedene Ebenen. „Die Autorin mache eine unheimlich feine Auslotung von Wahrnehmung und Bewusstsein, von innen und außen.“

TDDL 2020: Insa Wilke Nora Gomringer Hubert Winkels
ORF/Johannes Puch
v.l. Insa Wilke, Nora Gomringer, Hubert Winkels

Das Feuer in der österreichischen Literatur

Klaus Kastberger machte eine professorale Anmerkung zu Gomringers Feuer in der österreichischen Literatur – das spiele eine riesige Rolle. Der Brand des Wiener Justizpalastes war ein zentrales Ereignis in der Geschichte. „Die Blendung“ von Elias Canetti oder die „Strudelhofsteige“ von Heimito von Doderer wären ohne diese Szene nicht zu verstehen. Auch in “Malina“ von Bachmann geht es in einem Dialog um den Brand, der weiterbrenne. Das Feuer, das hier brenne, sei das Feuer des Klimawandels.

Es sei großartig, dass sich der Text einer literarischen Tradition bewusst sei und auf das Gegenwärtige umsetzt. Obwohl er vor der Coronavirus-Krise geschrieben wurde, gebe es in den Mäusen um ein Virus, das sie in sich tragen – das sei so ein Punkt, wo der Text auch heute noch aktuell sei.

Tingler suchte Auflösung von Motiven

Tingler nahm auf Schwens-Harrant Bezug, interessant sei die Frage, wie sich Literatur auf die sprachliche Vermittlung von Welt zu verhalten habe. Er fand die Bettszene nicht so faszinierend. Wie das Motiv der Versehrtheit an der Lippe, die nie aufgelöst werde, es sei natürlich einfacher, sie nicht aufzulösen.

Gomringer meinte, man müsse sich drauf einlassen oder auch nicht.

Einigkeit über starke Dialoge

Schwens-Harrant fügte hinzu, sie sei irritiert, dass es für Tingler einfacher scheine, es sei leichter, so einen Text zu schreiben. Es gebe drei Begegnungen in diesem Text, die vor dem Tor, in dem Geschäft und mit den Männern vor dem Hauptquartier. Wenn man sich anschaue, wie die Dialoge geschrieben seien, das sei gruselig, so eine Verknappung biete viele Möglichkeiten, wie man das verstehen könne. „Dialogschreiben ist das Schwierigste“. Freudenthaler gestaltet dies auf eine Weise, dass man nicht wisse, ob das nicht schon bedrohend sein.

Wiederstein stimmte zu, die Dialoge seien stark, die Stimmung spannend. Aber wenn Kastberger sagte, es gehe um das Feuer in der österreichischen Literatur müsse man doch etwas Neues daraus machen.

Tingler sagte, der Text sei besonders gut, wo er nicht verknappt, sondern elaboriere, zum Beispiel beim Feuer. Gerade da zeige sich, das schriftstellerische Talent. Sein Punkt sei, wenn das Talent im Sinne von Sprachbeherrschung balanciert werde von der Fähigkeit eine kohärente Handlung zu präsentieren.

Kastberger intere ssiert die Sache mit den Rätseln und wie diese in den Wirklichkeiten gesucht werden. Gebe es eine Diskrepanz in der Auffassung von Wirklichkeit in der Literatur, müsse man es in Rätselhaftigkeit beschreiben. Die Welt habe Brüche und sei nicht kohärent, fernab vom Text von Freudenthaler.

Winkels konterte „Auf welchen Text trifft es denn in der Literatur zu?“