Lesung Jörg Piringer
WDW Film
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Jurydiskussion Jörg Piringer

Jörg Piringer las auf Einladung von Nora Gomringer den Text „kuzushi“. Die Jury war sich nicht einig, ob es sich um einen Monolog eines frustrierten Internetentwicklers handelt oder um einen von einer Maschine erstellen Text, in dem es um die Kreativität der künstlichen Intelligenz gehe.

Klaus Kastberger sagte, Piringer stamme aus der Welt des Internets, habe mit Texten gearbeitet, die nichts mit einem Bachmanntext zu tun haben. Gefallen habe ihm die Lesung, der oberlehrerhafte Ton habe ihm aber missfallen. Vielleicht habe der Autor gemeint, er müsse den Kritikern zeigen, was ein maschineller Text sei.

Nora Gomringer, die den Text vorgeschlagen hatte, meinte, der Oberlehrerton erkläre sich vielleicht durch den Monolog, das Lamento eines Webentwicklers und seine Frustration über die Entwicklung des ehemals freien Netzes. Der Webentwickler hat sich zu einer Art Pirat entwickelt und verhalte sich wie ein Robin Hood. Der schwebende Schluss habe ihr gefallen, diesbezüglich habe sie sich mit dem Autor auch ausgetauscht.

Lesung Jörg Piringer
ORF/Johannes Puch

Tingler wünschte sich mehr Auseinandersetzung

Philipp Tingler meinte, bedenklich finde er es, wenn jemand sage, er möge den Verachtungston nicht. Der Text könnte von künstlicher Intelligenz geschrieben sein, er sei etwas enttäuscht, denn man sehe Figuren, die man kenne. Er hätte sich gewünscht, dass er eine Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz und Kreativität leiste. „Relativ gewollt wird die zweite Ebene eingezogen mit der Kampfsportmetaphorik. Das ist so frisch wie die Idee, alles klein zu schreiben.“

Gomringer fragte, könnte nicht dafür sprechen, dass es sich um einen Monologtext handle. Sie möge den Verachtungston.

Wiederstein sieht Verklumpung der Sprache

Michael Wiederstein meinte, er habe sich über die Judobilder gewundert. Die großen Sprachen der Welt, vor allem das Englische, werden durch die Globalisierung immer einfacher, es gebe hier ein Klumpenrisiko. Sprache werde automatisiert, es gehe hier nicht um Kreativität, die brauche es nicht. Das Kleinschreiben, die fehlende Interpunktion schätze er nicht, aber es zeige die Vereinfachung.

Nora Gomringer sagte, bei Sprache als Waffe sei die Situation die, dass man genau das erlebe. „Wir sind Wahlkämpfen ausgesetzt, die längst manipuliert werden, es gibt einen US-Präsidenten, bei dem klar ist, dass manipuliert wird.“ Der Entwickler im Text will einen Gegenschlag führen.

Tingler: Das ist fake fiction

Tingler erwiderte, es gehe hier nicht um Wortreduktion, es gehe um Phantasie der Maschine und fake fiction. „Wie weit kann es gehen mit eigenen, kreativen Welten, die als Racheakt definiert werden. Was mir gefällt ist der Clou am Schluss.“ Er werde durch das Klingeln des Telefons abgelenkt, das ist der menschliche Aspekt. Insa Wilke stimmte ihm zu, es sei eine Geschichte einer politischen Entwicklung, ein Text, der von Ignoranz des Westens gegenüber dem Osten 1989 handelt, aber auch die Ignoranz der Menschen gegenüber der technischen Entwicklung.

Kastberger will lieber Maschinentext

Klaus Kastberger sagte, er wehre sich gegen die Lesart, dass man den Text in psychologischen Rahmen stellt. Er stelle sich lieber vor, dass der Text von einer Maschine geschrieben wurde und kein Monolog eines Webentwicklers sei. „Dieser Text funktioniert auch jenseits der Person, die ihn äußert.“ Gomringer reagierte darauf und sagte, er funktioniere auch ohne Menschen. Aber dass die Situation bedient werde, um Sätze zu erzeugen müsse man von einem Erzähler ausgehen, der auch Sprecher sei.

Hubert Winkels sagte, der Text sage nie, wer spreche. Er hält einen in dieser Ambivalenz. „Der Text kommt an die Stelle, wo das System kippen könnte. Was er aber nicht tut, ist die Gleichgewichtsbrechung auch zu vollziehen.“ Kastberger sagte, der Text habe die Jury nicht aus dem Gleichgewicht bringen können, denn man habe sich den ganzen Tag schon selbst aus dem Gleichgewicht gebracht.