Rede Landesdirektorin Karin Bernhard

ORF-Landesdirektorin Karin Bernhard hält als Hausherrin alljährlich eine Eröffnungsrede, in diesem Jahr natürlich ebenfalls digital. Hier können Sie die Rede nachlesen.

Kunst als Notschrei

Ich darf Sie, sehr verehrte Damen und Herren recht herzlich zu den digitalen 44. Tagen der deutschsprachigen Literatur begrüßen!

Der Beginn des heurigen Jahres hat uns einen dramatischen Perspektivenwechsel beschert: War vorher gelegentlich zu hören: „Damit alles so bleibt, wie es ist, muss sich vieles ändern!“ – hat sich „über Nacht“ ohne unser Zutun vieles geändert und unser Leben in vielerlei Hinsicht in Frage gestellt.

Und ich gestehe, dass eine meiner ersten Reaktionen darauf der Vorschlag war, die diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur abzusagen, sie also nicht stattfinden zu lassen. Aber heute hier und jetzt bin ich stolz darauf, dass sie nach der Änderung der Statuten für dieses Ausnahmejahr doch stattfinden können! Ich bedanke mich beim Team rund um den Technischen Leiter des ORF Landesstudios Kärnten Klaus Wachschütz, das sehr kreative Möglichkeiten für den Ablauf der Lesungen und Diskussionen gefunden hat und bei unseren Kooperationspartnern, die uns auch in diesem schwierigen Jahr unterstützend begleiten, allen voran bei Klagenfurts Bürgermeisterin Maria Luise Mathiaschitz.

Landesdirektorin Karin Bernhard
ORF
Karin Bernhard

Gerne nenne ich Ihnen drei Gründe für die Wichtigkeit des heurigen Bewerbes:

Erstens: Es war Ludwig Wittgenstein, der die Grenzen unserer Welt in der Begrenztheit unserer Sprache gesehen hat. Die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt dürfen zurecht für sich in Anspruch nehmen, jedes Jahr gegen diese Grenzen unserer Welt und die Begrenztheit unserer Sprache anzuschreiben und anzureden.

Gerade jetzt, wo allerorts von „Lock-down“ und Wiederhochfahren“ die Rede war, wurden wir Zeugen davon, wie leicht und selbstverständlich sich eine seelenlose Computersprache im Alltag etablieren kann.

Zweitens: Hubert Winkels, der Vorsitzende der Bachmannpreis-Jury spricht in Kärntens Kulturzeitschrift DIE BRÜCKE von der Hoffnung auf Hochkonzentration. Nicht nur von der Jury und den Autoren, auch von den Zuhörern und Zuschauern wird diesmal wie noch nie zuvor eine Kunst des konzentrierten Zuhörens verlangt. Eine Tugend, die uns in der Hektik unserer gesellschaftlichen Betriebsamkeiten immer mehr abhandenzukommen droht.

Einen dritten Grund schließlich verdanke ich einem Aphorismus von Arnold Schönberg, der der Kunst gerade in schwierigen Zeiten ihre unverzichtbare Rolle zuspricht, sie als „Notschrei jener“ beschreibt, „die an sich das Schicksal der Menschheit erleben. Die nicht mit ihm sich abfinden, sondern sich mit ihm auseinandersetzen. Die nicht stumpf den Motor ‚dunkle Mächte‘ bedienen, sondern sich ins laufende Rad stürzen, um die Konstruktion zu begreifen. Die nicht die Augen abwenden, um sich vor Emotionen zu behüten, sondern sie aufreißen, um anzugehen, was angegangen werden muss. Die aber oft die Augen schließen, um wahrzunehmen, was die Sinne nicht vermitteln, um innen zu schauen, was nur scheinbar außen vorgeht. Und innen, in ihnen, ist die Bewegung der Welt; nach außen dringt nur der Widerhall: das Kunstwerk.“ (Arnold Schönberg: „Aphorismen“ In: „Die Musik“, IX, 4. Quartal, 1909, Seite 159)

In diesem Sinne wünsche ich den 44. Tagen der deutschsprachigen Literatur ein gutes Gelingen, einen tiefen Blick nach innen, um möglichst vielen dabei zu helfen, ihre Augen zu öffnen, „um anzugehen, was angegangen werden muss“!

Karin Bernhard