Jurydiskussion Ines Birkhan

Ines Birkhan las den Romanauszug „abspenstig“ auf Einladung von Nora Gomringer. Eine vermisste Sängerin und fabelhaft anmutende Schilderungen von im Wasser lebenden Wesen. Birkhan meldete sich bei der Diskussion zu Wort und beantwortete Fragen zu ihrem Text.

Das Verschwinden der Sängerin Ekaterina wird mit einer Vermisstenanzeige bearbeitet. Entrückt ins Wasser eines Tattoo Studios, wo ein Tätowierer-Skorpion zum Gefährten wird, gilt ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen als ihrer Karriere. Gesellschaftskritische und philosophische Bemerkungen fließen wasserähnlich in den Text mit ein.

Lesung Birkhan

ORF/Johannes Puch

Ines Birkhan

Wilke hätte sich anderen Text erwartet

Zu Beginn der Diskussion rund um Ines Birkhans Romanauszug meldete sich Insa Wilke zu Wort. Sie sei etwas über den Text verwundert gewesen, nachdem sie das Autorinnenporträt gesehen hatte. Sie hätte eine Art Klangskulptur, Bildskulptur erwartet. Für sie sei die Relevanz eines Texts wichtig, die auch in der Form liegen könne, es sei hier aber auf keiner Ebene klar, was die Relevanz dieses Texts sei.

Hubert Winkels erkannte den stillen performativen Teil des Texts in der Anlehnung an die Bewegung des Wassers. Ähnlichkeiten erkannte er zum Text von Schultens, auch hier gehe es um eine Verwandlung, etwas Chimärenhaftes. Hier gebe es ein Tattoo Studio und einen Tätowierer, der sich in den Skorpion verwandle, irgendwann sei man auf der Haut der Protagonistin unterwegs. Ekaterina verschwinde mit den Motiven unter Wasser und lebe dort mit dem Tätowierer. Das Problem sei, dass sie, anders als Schultens, durch das auktoriale Erzählen einen Ausweg habe. Der letzte Satz sei in diesem Sinne inkonsistent und überflüssig.

Lesung Birkhan Winkels

ORF/Johannes Puch

Hubert Winkels

Gomringer verteidigte ihren Text

Nora Gomringer fand, der letzte Satz mache Sinn, da es ja ein Romanauszug sei. Sie habe der Text angesprochen, da sie dachte, es sei eine skurrile Arielle-Geschichte. Sie habe keine Ahnung, wie skaliert die Wesen seien, sie würde gerne wissen, wie es weitergeht. Es sei eine genaue Beschreibung einer Person. Wo die Geschichte sei, wollte Wilke wissen, worauf Gomringer antwortete, es gebe keine, aber der Text sei wunderbar erzählt. Laut Winkels habe Fachsprache auch durchaus ihre Berechtigung im Text.

Lesung Birkhan Gomringer

ORF/Johannes Puch

Nora Gomringer

Hildegard Keller meinte, es sei klar, dass es in diesem Text um Essen und Gegessen-werden gehe. Der Verzicht werde Selbstaufgabe genannt. In Disneyfilmen gehe es immer darum, Mensch zu werden, was hier umgekehrt werde. Viele lose Elemente, Motive seien nicht verbunden, was dem geschuldet sein könne, dass es sich um einen Romanauszug handle. Bei den Teilen im Kursiv solle es sich um eine pseudozoologische Sprache handeln, der Versuch der Montage sei aus ihrer Sicht nicht gelungen, da die Dringlichkeit nicht einsehbar sei.

Lesung Birkhan Keller

ORF/Johannes Puch

Hildegard Keller

Gmünder hatte „Respekt vor dem Text“

Stefan Gmünder erwähnte zunächst den Satz: „Das Jetzt und seine Spiegelungen in die Zukunft“. Man könne sich an wenig in diesem Text anhalten, er sei zu Beginn ziemlich geschwommen. Er habe aber das Schweben, Wuseln gemocht. Es gebe Elemente, an die man sich halten könne, der Text schließe Zeiten kurz und mache Räume auf. Die Frage nach dem Warum sei immer Ausdruck der Ratlosigkeit, er habe sich dem aber nicht hingegeben. Er bekannte „Respekt vor dem Text“.

Insa Wilke befand, bestimmte Motive seien spannend, aber an die Autorin gewandt sagte sie: „Sie machen nichts draus.“

Nora Gomringer strich die Banalität eines Naturkundebuchs hervor, das in den Text gearbeitet sei, worauf Wilke erwiderte, da lese sie lieber ein Naturkundebuch. In der Montage müssen Erkenntnisse zu finden sein. Gomringer dagegen fand, die Dinge haben durchaus Bedeutung, der Text sei „veritabel und gut“.

„Gerade stehen die Menschen an der Spitze der Nahrungskette und regieren die Erde“ – diese Aussage gefiel Hildegard Keller, das müsse aber stärker gemacht werden. Gomringer antwortete, es gehe eben um einen Auszug. Wilke entgegnete, die Passage müsse dennoch funktionieren, was hier nicht der Fall sei.

Klaus Kastberger

ORF/Johannes Puch

Klaus Kastberger

Kastberger erwartete Performance

Klaus Kastberger äußerte, dass man zu Beginn das Gefühl habe, es werde eine perfomanceartige Suppe. Er habe ein bisschen gegoogelt, die Tiere im Text seien sich in der Evolution nie begegnet. Der Text nehme aber auch auf das Setting der TddL Bezug. Man erwarte in einem urzeitlichen Kontext zu sein, plötzlich sei man im Ausseerland. Für ihn sei klar, jemand sei verschwunden, dann komme das ins Spiel, was Winkels angesprochen hatte. Er finde es interessant, als Leser nicht mehr zu wissen, wo er sei – auf dem Körper der Sängerin oder irgendwo in der äußeren Welt. Die Fragen haben Dringlichkeit und Relevanz, ähnlich wie bei Schultens, deren Werk in der Zukunft angesiedelt sei, mache auch Birkhans Text Aussagen über die Gegenwart, was durch den Satz bewiesen werde, dass da Gehirnlose schwimmen.

Immer wieder Diskussionen der Jury

Michael Wiederstein erkannte zwei Ebenen, auf der einen die Tiere, und auf der anderen Ekaterina, die versuche, sich zurückzuentwickeln, entgegen der Evolution. Diese beiden Bewegungen bewegen sich gegeneinander, jedoch „nicht produktiv“. Man werde sedimentartig hineingeworfen, in der Gesamtheit gehe der Text jedoch nicht auf.

Nora Gomringer erwiderte, es gehe immer um die Konstruktion von zwei Ebenen, so sei es gesetzt. Man könne es so nehmen, wie zum Beispiel bei Harry Potter. Wiederstein befand das anti-aufklärerisch. Gomringer meinte, das könne sein, doch sei es lustig.

Gmünder habe sich lange gefragt, was das Draußen und was das Drinnen sei, es habe aber was Fließendes.

Winkels meinte, man frage sich manchmal, weshalb Tätowierungen den Körper teilweise nahezu überwuchern. Was sei die Leidenschaft darin. Dieser Text könne eine Antwort auf diese Frage sein, dass das Fantastische, Imaginäre in den Tätowierungen zugelassen werden könne.

Kastberger befand, Tätowierungen hätten mit Identität zu tun, der Text frage, wo man sei, wenn man sich tätowieren lasse. Der Text frage „bin ich in der Welt, die auf mir klebt“. Er frage, wie Identitäten entstehen würden.

Tätowierung als Heilssuche

Gomringer erkannte Demut darin, sich dem Künstler unterzuordnen. Tätowierungen haben etwas Heilssuchendes. Ekaterina brauche das, an der Oberfläche sei sie ein anderes Wesen. Keller wollte daraufhin von der Autorin wissen, ob sie vom Text weggeschwommen seien. Birkhan antwortete: „Ich habe das Gefühl, dass sie ziemlich daneben liegen.“ Sie arbeite mit Lauten und Färbungen, dass es sprachlich nicht durchgearbeitet sei, wundere sie.

Wilke antwortete, sie sehe zwar die Anlagen im Text, die Autorin komme aber nicht zu den Ausdrucksformen, die sie sich gewünscht hätte. Gomringer meinte, es solle doch kein reines Sprechstück sein. Für Keller stehen die Begriffe Performance und Montage nicht auf derselben Ebene. Der Text müsse sauberer sein, sie sehe jedoch, dass es so gearbeitet sei.

Birkhan bedankte sich, mitreden zu dürfen. Sie habe Narrative in die Montage miteinfließen lassen, es sei eine durchgearbeitete Montage. Die kursiven Stellen seien die Montageebenen. Gomringer fand gerade die aufgearbeiteten Montageelemente charmant, die Welt, gefärbt durch einen allwissenden Erzähler

Winkels nahm auf Birkhans Aussage Bezug, im Text befinde sich Humor, was er erkennen könne.