Jurydiskussion Yannic Han Biao Federer

Yannic Han Biao Federer las auf Einladung von Hildegard Keller den Text „Kenn ich nicht“. Die Jury diskutierte kontroversiell. Michael Wiederstein wollte einen Preis für den besten letzten Satz, das fand kein Verständnis unter den Jurykollegen.

Im humorvollen Text samt Kurzschluss geht es um eine Trennung und eine darauf bezogene Leseempfehlung. Miriam trennt sich von Ich-Erzähler Tobi, der, unterstützt von seinen Freunden, seinen Trennungsschmerz im Urlaub bewältigen möchte. Dabei helfen soll ihm ein Buch von – Yannic Han Biao Federer.

Yannic Han Ciao Federer

ORF/Johannes Puch

Yannic Han Biao Federer

Zu Beginn der ersten Diskussion des zweiten Lesetages tat Insa Wilke ihre Meinung kund. Es sei das schöne an der Juryarbeit, dass man sich Zeit nehmen dürfe, etwas zu verstehen ohne gleich ein Urteil zu fällen. Was ihr sofort aufgefallen sei, sei jedoch der Satz: „Und diese Trennungssache, frage ich, kommt die jetzt als Buch? Ist schwierig“ – schwierig sei es, meinte auch Wilke. Was ihr am Anfang nicht gefallen habe, sei das Selbstreferenzielle.

„Klasse Titel“

Hubert Winkels führte den Gedanken weiter, Federers Roman werde erwähnt, auch Tobis Freund schreibe einen Roman. Postmodernistische Spiele auf verschiedenen Ebenen finden hier Verwendung. Die postmoderne Konstruktion sei aber durch andere Motive ausgeglichen. Für Winkels ist der Text eine Elegie.

Klaus Kastberger gefiel der Titel „Kenne ich nicht“, der sei „Klasse“. Die Perspektive sei eine äußere, Bohrlöcher in die Tiefe führen zu keinem Ergebnis. Die Erzählperspektive gehe da nicht hinein, das gefalle ihm. Er sehe aber ein zentrales Problem, denn eine Möwe, die in die Sandale kackt, könne den Text nicht zu einem Ende bringen. Es gehe um einen Neuanfang, der Text finde aber kein Ende und habe daher „ein strukturelles Problem“.

Tag zwei Jury

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v.l. Kastberger, Gomringer, Gmünder

Juror Stefan Gmünder hingegen gefiel der Text, darin sei viel los. Diese ganzen Dinge scheinen ihm „logisch in ihrer Zersplittertheit“. Das Zentrum bleibe gleich und dieses Zentrum sei das Zersplittern der Person. Das funktioniere gut in diesem Text. „Sehr, sehr gut“.

Ein „Naja“ von Michael Wiederstein

Michael Wiederstein wollte den Preis für den besten letzten Satz („Am Hafen scheißt mir eine Möwe in die rechte Sandale, es stinkt und klebt.“) vergeben, erntete aber Unverständnis unter seinen Kolleginnen und Kollegen. Dennoch gehen bestimmte Dinge am Ende nicht auf, es sei schließlich ein klassisch erzählter Text. Gute Beschreibungen der Leere werden am Ende konterkariert, aber am Ende werde die Seele zerschnitten, das sei ihm zu viel. Um den Text zu zitieren, schloss Wiederstein sein Urteil mit „naja“.

Jury

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Stefan Gmünder

Keller lobte Text: „grandios durchgeführt“

Hildegard Keller erklärte, weshalb sie diesen Text eingeladen hatte. Gleich zu Beginn trete der Autor im Text auf, kippe in ihn hinein. Er schreibe es auf und zersetze es daraufhin. Dieses Spiel sei „grandios durchgeführt“, das Miteinbeziehen des Autors sei motiviert. Die Erinnerungen an die Liebesbeziehung seien „unerhört einsam“. Die Stellen, an denen der Text in die Tiefe gehe, seien da. Der Autor könne das aber nur durchspielen, wenn er sich selbst in den Text kippen lasse. Auch das Ende sei für sie motiviert, eine „grandios leichtfüßige Erzählung“.

Tag zwei Insa Wilke

ORF/Johannes Puch

Insa Wilke

„Text kommentiert sich ständig selbst“

Nora Gomringer bekundete, sie sei zu Beginn gar nicht begeistert gewesen. Die Überfülle als Prinzip gefalle ihr nicht. Dann sei ihr die Zärtlichkeitsstruktur als Erklärung gekommen, was sie akzeptieren konnte, danach sei sie aber „rausgekegelt“. Die Welt der Beobachtungen habe sie aber doch „eingenommen für den Text“. Die Geschichte, die man sich selbst erzählt, helfe nicht weiter. Auf Wiederstein Bezug nehmend erklärte sie, der letzte Satz gefalle ihr gar nicht.

Wilke sprach über das Plakative. Der Text sei klassisch erzählt, kommentiere sich aber ständig auch selbst. So füge sich auch der letzte Satz ein. Die einzelnen Passagen kommentieren sich gegenseitig. Der Text sei nicht kalt, es gehe im Gegenteil um Indolenz ob des großen Schmerzes. Die Schaufensterpuppen seien die Engel der Geschichte. Einerseits gehe es um eine persönliche Apokalypse, der Text sei aber auch ein Kommentar zur Gesellschaft.
Kackende Möwen, so Klaus Kastberger, gefallen ihm einfach nicht, vieles andere an dem Text finde er dennoch gut. Den eigenen Namen in dieser Art im Text zu nennen sei manieriert, man könne sich selbst besser in den Text miteinbringen.

Laut Winkels machen die Möwen und Puppen Sinn, es gehe um „scripted reality“. Da seien keine Identität und kein Subjekt nötig. Die „vorgescriptete Geschichte“ laufe von alleine ab. Wie die Texte von außen konstruiert werden spiele keine Rolle.

Das Spiel mit dem alter Ego

Keller kam noch einmal auf das zentrale Spiel mit dem alter Ego zurück und wollte von Kastberger wissen, welche guten Gründe er dafür brauche. Kastberger antwortete, der Text müsse die Gründe liefern, was „Kenn ich nicht“ nicht tue. Keller hielt fest, dass aber tatsächlich Gründe genannt worden seien. Hier gehe es darum, „wer schreibt dein Leben“. Kastberger konterte mit der rhetorischen Frage, „welcher Text tut das nicht?“

Stefan Gmünder stellte daraufhin fest, „irgendwie komme ich nicht zu Wort“. Es sei nicht einfach, kunstvoll mit dem eigenen Namen umzugehen. „Zufällig und doch organisch geformt.“

Wiederstein äußerte den Verdacht, man habe den Text im Nachhinein auseinandergenommen, damit er literarisch wirke. „Ich fürchte nur noch eine Taube kann diese Diskussion zu einem Ende bringen“, schloss Kastberger und wurde noch verbessert: „Möwe“.