Wohlwollende Diskussionen am zweiten Lesetag

Nach dem „Frauentag“ am Donnerstag war am Freitag das Leserfeld ausgeglichen. Sehr gut kam der Text von Birgit Birnbacher über einen Schrank an. Ronya Othmanns Text über Völkermord des IS sorgte für Diskussion über die Kritisierbarkeit solcher Texte. Lob gab es für Daniel Heitzler.

Yannic Han Biao Federer war als erster am Freitag an der Reihe. Er wurde eingeladen von Hildegard Keller und las den Text „Kenn ich nicht“ über Trennungen und Neaufanfang. Die Jury stürzte sich gleich in eine kontroversielle Diskussion. Michael Wiederstein will einen Preis für den besten letzten Satz vergeben: „Am Hafen scheißt mir eine Möwe in die rechte Sandal, es stinkt und klebt.“ Insa Wilke sagte, es sei das Schöne an der Juryarbeit, dass man sich Zeit nehmen dürfe, etwas zu verstehen ohne gleich ein Urteil zu fällen.

Yannic Han Ciao Federer

ORF/Johannes Puch

Yannic Han Biao Federer

Huberte Winkels sagte, für ihn sei das eine Elegie, es gebe fünf Ebenen, ein klassisches, postmodernes Spiel mit Erzählebenen. Für Klaus Kastberger ist der Titel „Klasse“, das passe auch zu Klagenfurt. Jeder kenne Trennunsgeschichten, aber man kenne den Autor nicht. Alles in allem blieb der Text für ihn aber unbefriedigend, er mache zu viel auf und tue sich schwer, ein Ende zu finden. Für Gmünder hingegen „nachgerade genial“, der Texte blende überall hin, wie in einem Kaleidoskop drehe man weiter und sehe eine neue Szene, aber das Zentrum bleibe gleich - mehr dazu in Jurydiskussion Yannic Han Biao Federer.

Text über erschütternde Massaker

Nach Yannic Han Biao Federer las die Deutsche Ronya Othmann. Sie wurde eingeladen von Insa Wilke und liest „Vierundsiebzig“, ein Text über die Gräueltaten des IS. Sie ist die siebte Autorin und somit herrschte Halbzeit bei den Lesungen. Die Ich-Erzählerin reist in den Irak, um Verwandte zu besuchen und erfährt vom Völkermord in Shingal. Die Jury diskutierte angesichts des Themas Völkermord darüber, ob und wie man so einen Text besprechen könne. Es kam auch der Vergleich mit den Texten Peter Handkes zum Jugoslawienkrieg. Es werde laut Hildegard Keller unsägliches Leid geschildert, die Autorin sei nah am Text. Sie als Literaturkritikern bleibe still, so Keller.

Ronya Othmann

ORF/Johannes Puch

Ronya Othmann

Kastberger meinte, als Reportage wäre der Text gelungen, der Text sage wiederholt, er sei Fiktion. Doch erfunden habe die Autorin dies nicht, das sei ihr so erzählt worden. Insa Wilke sagte, sie sei der Meinung, man müsse „unbedingt“ über solche Texte literaturkritisxch sprechen, da sich die uralte Frage stelle, wie man darüber schreiben solle. Das sei wichtig - mehr dazu in Jurydiskussion Ronya Othmann

Ein geschenkter Schrank bekam gute Kritiken

Die Österreicherin Birgit Birnbacher wurde eingeladen von Stefan Gmünder und las „Der Schrank“. Ein Ich-Erzählerin nimmt an einer soziologischen Studie teil und im Stiegenhaus steht plötzlich ein Schrank. Ein Geschenk der Mutter, wie sich herausstellt. Für Hildegard Keller in jeder Hinsicht gelungen, eine Mikrostudie der Lebensverhältnisse. Michael Wiederstein sagte, es gehe um Studien über Menschen und Studien der Autorin über Menschen. Er habe große Empathien für die Figuren. Insa Wilke sah unglaublich schöne Momente und Klaus Kastberger eine Referen an „Malina“ von Birgit Bachmann - mehr dazu in Jurydiskussion Birgit Birnbacher.

Birgit Birnbacher

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Birgit Birnbacher las im Stehen

„Mischung aus Beckett und Lucky Luke“

Am Nachmittag liest der Deutsche Daniel Heitzler Zarain auf Einladung von Hubert Winkels den Text „Der Fluch“. Klaus Kastberge meinte, er hoffe, alle seien noch da, der Text habe so lange gedauert, bis da endlich Tempo reinkam. Es gebe Texte, die sich langsam entwickeln, hier habe er aber nichts gefunden. Den Text hätte man ihm auch in zwei Minuten erzählen können. Insa Wilke meinte, der Texte wende humoristische Mittel an. In Richtung Autor sagte sie, der Vortrag arbeite gegen den Text. Beim Text hätte sie an die letzten Koalitionsverhandlungen in Deutschland denken müssen. Die Komik liege in der Grammatik, an verschachtelten Sätzen, sie finde den Text gewagt, ihr habe er gefallen, eine Mischung aus Beckett und Lucky Luke.

Daniel Heitzler

ORF/Johannes Puch

Daniel Heitzler

Laut Michael Wiederstein gehe es um einen Betrug, der in die Hose gehe, lustig und interessant. Der Witz des Autors gehe für ihn auf. Er sei „sehr angetan“. Stefan Gmünder meinte, der Text gefalle ihm. Er hätte nicht gedacht, dass er in Klagenfurt noch einmal das Wort „amigo“ hören würde. Am Ende bleibe eine Hand voll Sand - mehr dzau in Jurydiskussion Daniel Heitzler.

„Skandalautor“ beschloss zweiten Lesetag

Um 14.30 Uhr war Tom Kummer aus der Schweiz als letzter Autor am Freitag an der Reihe. Er spaltete bereits im Vorfeld die Meinungen. Kummer gilt als der „Skandalautor“ des heurigen Bewerbs. Er sorgte in den 90er Jahren für einen Riesenskandal, weil er als Hollywoodjournalist Interview mit Prominenten erfunden bzw. aus anderen Interviews zusammengestellt hatte. Er wurde von Michael Wiederstein eingeladen und las den Text „Von schlechten Eltern“. Für Stefan Gmünder ein Text voller Pathos, doch er möge Pathos. Die Jury zeigte sich nicht überzeug, es wurde kontroversiell diskutiert.

So meinte Hildegard E. Keller, es sei ein „starker Text“, es gebe Lust und Horror. Kastberger ortete einen Werbetext der 90er Jahre, samt Machosprüchen. Für Insa Wilke war der Text eine Inszenierung des Unangenehmen, er balanciere zwischen dem Unzulässigen und dem Zulässigen. Der Text habe etwas Exhibitionistisches, obwohl er das ständig auch entziehe. Er sei merkwürdig dünn - mehr dazu in Jurydiskussion Tom Kummer.

Fünf Frauen am ersten Lesetag

Am ersten Tag haben fünf Frauen ihre Texte gelesen. Eine Zusammenfassung von Barbara Frank.

Drei Autorinnen kamen gut weg

Am ersten Lesetag bekamen die deutsche Autorin Katharina Schultens und die Kärntnerin Julia Jost durchwegs gute Jurykritiken - mehr dazu in Erste Favoritinnen nach erstem Lesetag. Auch Sarah Wipauers Text über Geister wurde gelobt, wenn auch zurückhaltender.

Hitze und heiße Diskussionen

Der Tag wurde von der enormen Hitze von rund 38 Grad in Klagenfurt dominiert, es gab dazu passend auch teils hitzige Diskussionen. 3sat-Koordinatorin Natalie Müller-Elmau meinte, es sei „zutiefst demokratisch“, was in Klagenfurt passiere. Über Literatur werde geredet, gestritten, was Schöneres könne man sich nicht vorstellen - mehr dazu in Erste Favoritinnen nach erstem Lesetag.

Publikum im Park

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Besucher im Park am zweiten Tropentag des Bewerbs

Berichterstattung

Kärnten heute und Radio Kärnten berichten bis 30. Juni täglich. Im Fernsehen überträgt 3sat live. Der Deutschlandfunk sendet den gesamten Bewerb im Internet als Livestream. Die sozialen Netzwerke sind mit Facebook, Twitter und Instagram wieder stark vertreten - mehr dazu in Tage der deutschsprachigen Literatur Medien. Sie finden die Eröffnung, Rede zur Literatur und Lesungen sowie Diskussionen auf der Seite On demand.