TEXT Raphaela Edelbauer (A)

Raphaela Edelbauer liest den Text „Das Loch“ auf Einladung von Klaus Kastberger. Sie finden hier einen Auszug des Textes und den gesamten Text zum Nachlesen im .pdf-Format.

Lassen Sie mich über die Verhältnisse sprechen.

In den ehemaligen Stollen des Bergwerks, im Loch, also unter Tage, messen wir immer die selben Temperaturen von konstant acht Grad und 95 – 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. In absolutem tektonischen Stillstand, quasi Totalausschaltung der Gezeiten, sowie in vollkommener Dunkelheit, findet dort alle Lebendigkeit ihr Ende.
Den Pferden, die vor 200 Jahren unter Schinderei den Löschkalk aus dem Felsen zogen, mussten erst die Augen ausgestochen werden; ein sehendes Pferd wäre niemals freiwillig ins Schwarze hinabgestiegen. Zwanzig Jahre oder länger, d.h. ein ganzes Pferdeleben, mussten die Tiere unter diesen Bedingungen ausharren, um als Transporteur für die Mineralien zu dienen. Das ist lange vorbei: Nachdem der Berg die längste Zeit ausgebeutet worden war, eignete er sich um 1900 nur mehr als Schaubergwerk, durch das japanische Touristengruppen auf einem Zwischenstopp nach Hallstatt gelotst werden konnten. Aber der Felsen gab weiter nach und verlor an Stabilität – sodass er nun, Jahrzehnte später, zum einsturzgefährdeten Loch wurde, wie Einheimische sich ausdrücken.

Rhizomartig ziehen sich Verästelungen unter den Bergkuppen und Siedlungen durch, brechen in Röhrchen und Netzen an die Oberfläche und schieben das nervöse Erdreich zu atmenden Halden zusammen. Es ist, genau betrachtet, nicht nur ein Loch, sondern ein nach allen Seiten sich erstreckender Hohlraum, der die gesamte Gemeinde unterhöhlt – der in jedem Garten eine kleinen Fistel bildet, die an den Fundamenten der Gebäude saugt. Das Wasser arbeitet diesem Loch fleißig zu: schmatzende Sedimente lassen sich unter die Häuser und Straßen tragen, welche sich bereitwillig der Verflüssigung hingeben. Die Absenkung wird von Tau und Nieseln ebenso vorangetrieben wie von den Rasensprenkelanlagen der Menschen; denn so staut sich im Erdreich das Wasser nicht bloß von unten, sondern durchdringt es auch von der Oberfläche her.

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IBP 2018 TEXT Edelbauer Das Loch
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