Jurydiskussion Dieter Zwicky

Dieter Zwicky las auf Einladung von Juri Steiner den Text „Los Alamos ist winzig“, eine impressionistische Skizze. Die Jury lobte den Text und die Vortragsweise des Autors einhellig, nur Hubert Winkels fand keinen Zugang.

Der Ich-Erzähler hat gerade den Krebs besiegt. Doch darum geht es in der Geschichte nicht. Die Hauptrolle dieses Werkes hat die Stadt Los Alamos inne, deren Eigenschaften, Eigenarten und Einwohner, samt der harten Arbeit der Frau des Erzählers beim Wasseramt locker und entspannt der Leserschaft näher gebracht werden.

Dieter Zwicky

ORF/Johannes Puch

Meike Feßmann lobte den Text. Die Geschichte spiele in Los Alamos, wo sehr viel radioaktiver Müll lagere, dies und anderes biete viele Referenzen, auf die sich dieser Text beziehen würde. Schön sei, dass der Erzähler ein Künstler sei. Er stelle einen seltenen, tollpatschigen Männertypus dar. Daher sei dieser Text ein schöner Abschluss der heurigen Tage der deutschsprachigen Literatur, so Feßmann.

Auch Klaus Kastberger gefiel vieles an diesem Text. Er mochte unter anderem die Vortragsweise und den beruhigenden Tonfall. Während des Lesens habe er sich auf die Weise, wir Dieter Zwicky Los Alamos ausgemalt hat, konzentriert. Diese Stadt und die Umgebung würden langsam aufgebaut werden, man wisse nie ganz genau, ob es noch die Idylle sei, oder schon die Apokalypse. „Es ist vergnüglich“. Alleine für die Sprache hätte er sich schon einen Preis verdient. Er würde sich wünschen, dass der Weltuntergang von einem Schweizer kommentiert würde, so beruhigend sei das.

Dieter Zwicky

ORF/Johannes Puch

„Von der Freakshow überrumpelt“

Stefan Gmünder schloss sich dem an und meinte, der Ich-Erzähler sei ein Komponist, ein Mann, „mit dem man gerne in die Erzählung geht“. Trotzdem sei er zwischendurch abgedriftet. Da seien Magier, Zauberer und vieles mehr, es habe ihn am Ende durchgerüttelt, aber er sei „dran geblieben“.

Hildegard Keller meinte zu erkennen, der Tonfall hätte klar gemacht, dass sich der Autor von Wörtern triggern lasse. „Wir sind in einem Text ohne Zentrum“, das Eine werde auf das Andere aufgebaut, ohne Zentrum. Der Schlüssel zur Interpretation sei, dass der Mann Zungenkrebs habe, der ihn daran hindere frei zu sprechen, daher könne man ihm nie ganz trauen. „Wir alle lassen uns überrumpeln von der Freak-Show und dem Labyrinth des Erzählens.“ Doppelungen, die den Text sperrig machen, das Labyrinth, das frenetische Erzählen, ohne dass es lokalisiert werden muss, das alles mache den Trick dieses Texts aus.

„Wie man sich selbst etwas vormacht“

Sandra Kegel erklärte, sie sei sich nicht sicher, alles verstanden zu haben. Der Text spreche in Rätseln, „da fehlen gewisse Dinge zum Nachvollzug, das macht aber nichts“. Sie mochte den Text und habe ihn wie eine Art Zweikanalton-Text gelesen. Es seien ganz wunderliche Bilder, Sinn werde immer wieder in Unsinn gewendet.

Juri Steiner hatte frenetische Freude an diesem Text. Es handele sich um einen Zauberkünstler, einen Imaginisten, der permanent mit der einen Hand ablenke, um mit der anderen einen Trick zu machen. Immer noch einmal, und plötzlich begreife man, die alte Dame ist ein Hund. Und dann begreife man, das stimme doch nicht. Es sei die Geschichte davon, wie man sich selber etwas vormacht. Man wisse nicht, ob der Krebs nur vorgestellt ist, man merke da geschieht Nach-hinten- und Nach-vorne-Zaubern parallel.

Dieter Zwicky

ORF/Johannes Puch

Winkels: Kein Sinn für diesen Text

Im Gegensatz zu diesen wohlwollenden Kommentaren gab Hubert Winkels zu, keinen Sinn für diesen Text zu haben. Der Vortrag sei gut gewesen, von einzelnen Worten ging seiner Meinung nach Energie aus. Ihm leuchtete auch ein, dass der Krebs als Metapher für die wuchernde Stadt zu verstehen sei. Für alles andere fehlten ihm aber die Plausibilitäten. Es hänge auch davon ab, ob man bereit ist, in der Luft zu gehen, er sei es nicht. Da sei keine ihn reinziehende Spannung.

An dieser Stelle unternahm Meike Feßmann noch einen Erklärungsversuch. Wenn man einen Referenzbezug zu Kafka habe, würde man merken, wie viel in diesem Text vorzufinden sei. Für Winkels blieb die Frage bestehen, wie viel Fremdreferenz man in einen Text einbringt. Bei 85 Prozent sei bei ihm Schluss.
Steiner schloss mit der Bemerkung, man müsse den Text nicht kompliziert lesen, man solle einfach sehen, was Sprache in 25 Minuten schaffen kann. Es sei einfach „ein schöner Text“.