TEXT Lukas Meschik, A

Lukas Meschik liest auf Einladung von Stefan Gmünder den Text „Mein Vater ist ein Baum“. Sie finden hier einen Auszug des Textes und den gesamten Text zum Nachlesen im .pdf-Format.

Mein Vater ist ein Baum

Mein Vater war Kärntner. Er war es mit jener bissigen Selbstironie, die es mittlerweile braucht, um diese Last in Würde zu tragen. Ich bin Halbkärntner, also nur halb so selbstironisch, wie mein Vater es war, höchstens.

Meine Mutter ist Vorarlbergerin. Ihr Herkunftsort gilt offiziell als die einwohnerreichste Marktgemeinde Österreichs, ein Detail, auf das die Bewohner großen Wert legen. Der örtliche alemannische Dialekt ist besonders obskur. Damit beherrscht meine Mutter eine Geheimsprache, die den Rest des Landes vor ein Rätsel stellt. Ich spreche sie zwar nicht, verstehe sie aber immerhin. Ich bin Wiener und eine Melange. Meine Mutter lebt. Mein Vater ist tot.

Wir finden ihn in seiner Wohnung auf dem Küchenboden. Er trägt Unterhose und Unterleibchen, darüber ein offenes Hemd. Es ist seine Daheimbleib-Uniform. Auf der Arbeitsfläche eine Scheibe Schwarzbrot und eine Packung Teebutter, der weichgewordene Butterklotz halb aus dem Goldpapier geschält, auf der Oberfläche seichte Rillen. Das Brot ist schütter bestrichen. Das Messer liegt neben meinem Vater am Boden. Mitten im Butterbrotschmieren muss es ihm aus der Hand gefallen sein.

Unsere Väter sind alle gleich. Sie kommen aus kleinen Ortschaften mit verengtem Horizont, werden gezwungen, zu beten und in die Kirche zu gehen. Sie stammen aus bedrückend pragmatischen Handwerkerfamilien. Sie reiben sich an ihrer Herkunft und sind nicht besonders sportlich, ihr schmächtiger Körperbau ist ideal fürs Laufen. Sie sondern sich ab in die Welt der Bücher, die an unbekannte Orte führen und eine neue Lebensmöglichkeit offenbaren. Sie sitzen im Obstgarten und tagträumen vom Wilden Westen, beim Umblättern streifen sie mit dem Zeigefinger den Abzug der Silberbüchse. Oft werden sie dabei in Ruhe gelassen. Im Fasching gehen sie als Cowboy mit aufgemaltem Schnurrbart. In der Schule tun sie sich leicht. Die Bücher infizieren sie mit Wissensdurst und Fernweh.

Der ganze Text als .pdf

lukas meschik - bachmannpreis 2019 - mein vater ist ein baum fassung TEXT
PDF (101.9 kB)