Jurydiskussion Stephan Lohse

Stephan Lohse las auf Einladung von Hubert Winkels seinen Text „Lumumbaland“. Erzählt wird von einem offenbar perspektivlosen jungen Erwachsenen, der in der Geschichte des ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten des Kongo Kraft findet.

Der Protagonist Lumumba heißt eigentlich Philip, wohnt mit seiner Mutter in Armut und ist in die Prostituierte Ramona verliebt. Seit der Reifeprüfung hat er seinen schwulen Freund Mattes nicht mehr gesehen. Gemeinsam verbringen sie einen Abend auf der Sahara, einer stillgelegten Baustelle, und rauchen Gras. Wie nebenbei wird mit distanzierterer, kritischer Erzählerstimme Einblick in die Geschichte des Kongo, das Leben von Patrice Lumumba und dessen Kampf für die Unabhängigkeit gegeben.

TddL 2018 Stephan Lohse Lesung

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Stephan Lohse

Wilke gefiel Tonwechsel

Die Diskussion zu Lohses „Lumumbaland“ wurde von Insa Wilke eröffnet. Sie befand, es sei ein sehr gut erzählter Text. Zum einen mochte sie das Setting, wo man zunächst nicht weiß, ob man tatsächlich in der Sahara ist. Die Dialoge seien auch literarisch sehr gut gelungen. Ebenso gefielen ihr die Figuren, komplexe Dinge seien ganz einfach benannt. Einerseits werde über den jungen Erwachsenen Lumumba in Deutschland geschrieben, der in der Gesellschaft keinen Platz findet, andererseits werde über den Freiheitskämpfer Patrice Lumumba erzählt. Der Tonwechsel gefalle ihr hier besser als in Edelbauers Text.

Gmünder sieht etwas in Bewegung gesetzt

Stefan Gmünder schloss sich dem an. Er zeigte sich davon beeindruckt, wie der Text mit der Zeit umgeht. Eigentlich gehe es um den sich-nicht-zugehörig-Fühlenden, andererseits um Kolonialgeschichte. Der Protagonist habe den Namen des historischen Lumumba und es wirke, als werde hier etwas in Bewegung gesetzt. Auch Nora Gomringer gefielen die Dialoge, beide Protagonisten seien sehr gewitzt. Sie könne sich daran erinnern, wie eine ihrer Freundinnen im Alter von sieben Jahren immer Krokodil werden wollte. Auch in „Lumumbaland“ gehe es um die Unmöglichkeit für einen Weißen ein Schwarzer zu werden, jedoch könne das nur der Anfang sein.

Jurydiskussion Maxi Obexer Gmünder

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Gmünder

Keller: Absicht des Texts nicht klar

Hildegard Keller verstand den Text als einen Romananfang. Sie fragte sich, was es mit der Montage auf sich habe. Ihrem Verständnis nach würde sich um eine Version der Heiligengeschichte handeln. Sie sehe jedoch beim besten Willen nicht, was Lumumbas Motivation sei. Er erfinde eine unmögliche Identität, aber was er konkret bedeute, sei nicht klar.

Für Wilke war klar, dass sich das daraus ergebe, dass junge Erwachsene sich oft auf etwas spezialisieren und sich viel Wissen zu einem bestimmten Themengebiet aneignen. Daher sei es für sie Lumumbas Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte des Kongo schon schlüssig.

Jury Keller Wiederstein Gomringer

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Keller, Wiederstein, Gomringer

Romananfang oder eigenständiger Text?

Der Juryvorsitzende Hubert Winkels wollte zu dem Zeitpunkt wissen, ob es sich tatsächlich um einen Romananfang handelt und so wurde Stephan Lohse dazu aufgefordert, Klarheit zu schaffen. Die Grundlage des Texts sei laut Winkels die phonetische Klangform. Es mäandert ein bisschen wie die Gedanken beim Kiffen. Über den Klang sei der junge Deutsche überhaupt erst zum Thema Lumumba und Kolonialgeschichte gekommen. Die Sprache sei sehr genau gearbeitet.

Kastberger: Leser nicht unwissend

Klaus Kastberger meinte, es habe einen größeren Zusammenhang, was die jungen Erwachsenen betreffe. Die Flottheit des Erzählens gehe in Richtung Wolfgang Herrndorf. Er sei aber „nicht einverstanden mit den Passagen über den historischen Lumumba“, die Motivation dafür sei zu schwach. Als Leser fand er „diese Passagen langweilig“. Der Text gehe davon aus, er müsste etwas erklären. „Lumumbaland“ gehe zu stark von der Unwissenheit der Leser aus. Wilke bat an dieser Stelle diejenigen im Publikum, die etwas über Lumumba wissen, aufzuzeigen. Kastberger tat das mit der Bemerkung ab, dass es nicht um diese Frage gehe, Wilke konterte, es gehen genau darum. Sie hätte kein Problem mit diesen Passagen.

Jury Insa Wilke

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Insa Wilke

Wiederstein sieht Wunsch nach Brechung

Michael Wiederstein fand die Zeichnung heruntergekommenen deutschen Stadt und die „Parallelführung mit dem Kongo, der heute auch eine Müllkippe ist“, gelungen. Die Befreiung bleibe für beide Lumumbas schlussendlich aus. Was ihn störte und was er gleichzeitig gut fand, waren die Figuren. Diese seien einerseits nichts Besonderes, aber doch gut gezeichnet. Er hätte sich jedoch eine Brechung gewünscht. Wilke sah im Text „sehr wohl eine Brechung“. Laut ihr sei die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte wieder immer relevanter. Der Text würde das ganz plausibel ausführen.

Keller sah in Wilkes Ausführung einen Widerspruch. Wilke stellte klar, es gebe keinen Widerspruch. Zum einen gehe es um Jugendliche, die sich mit etwas identifizieren wolle. um aus ihrer Realität ausbrechen zu können. Die Projektion sei aber auch kritisch zu sehen und ihr sei egal, ob da noch was im Text komme, bei ihr sei etwas angeregt worden.

Jury Winkels

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Juryvorsitzender Winkels

Winkels: Reiz in der Klangmalerei

Winkels sah in den Protagonisten zwei Außenseiter, die etwas anderes finden als die auch im Text erwähnte Heidi Klum. Durch die Auseinandersetzung mit Lumumba und der Kolonialgeschichte würden sie sich noch einmal von ihren gleichaltrigen Bekannten absetzen. Vieles laufe phonetisch in Lohses Text, so erinnere der Titel „Lumumbaland“ auch an „Lalaland“. Der Reiz von Lumumba liege in der Klangmalerei, nicht so sehr in der Figur des Lumumba.

Die zentrale Frage nach der weißen Unschuld als zentrales Motiv und erstmals sei ein Autor gebeten worden zu klären, ob es sich um einen Romananfang handele. So schloss Christian Ankowitsch die Diskussion zu „Lumumbaland“ und beendete somit das vormittägliche Programm des ersten Lesetages.