TEXT Corinna T. Sievers (D)

Corinna T. Sievers liest den Text „Der Nächste, bitte!“ auf Einladung von Nora Gomringer. Sie finden hier einen Auszug des Textes und den gesamten Text zum Nachlesen im .pdf-Format.

Der Mittdreißiger Herr K. auf dem Stuhl, leichte Schräglage. Es ist sein erstes Mal.
Lätzchen um den Hals, und es gefällt. Glauben Sie mir, mit Vergnügen lassen sich die meisten Männer infantilisieren. Mein Psychiater geht weiter, unterstellt ihnen sexuelle Devianz, nicht wenige Patienten empfänden Lust, körperliche und seelische Erregung bis hin zum Orgasmus durch die Ausübung von Macht oder Demütigung, in gehörigem Maße auch durch Zufügung von Schmerz, mit einer Zahnärztin sei die Rolle großartig besetzt.
Ich bin mir der doppelten Verantwortung bewusst, meine Patienten liegen mir am Herzen, ich habe den hippokratischen Eid geschworen.
Der Behandlungsstuhl dem Eingang abgewandt. Bevor Herr K. mich sieht, hört er meinen Schritt. In Erscheinung getreten, biete ich keine Überraschung, meist hat man mich gegoogelt, allenfalls bin ich älter als angenommen und dürrer.
Ich stehe aufrecht, strecke die Hand aus, seine ist kalt.
Mir graut vor Händen. Sie ahnen nicht, was Männerhaut anhaftet, allem voran Escherichia coli, das Kolibakterium. Unter dem Mikroskop einem Spermium nicht unähnlich, besitzt es einen kleinen Schwanz (Geißel), und kann aus eigenem Antrieb umher schweifen. Und wie es schweift! Nicht nur im Darm, auch am Anus, an Fingern und Krawatten, weshalb es der Labormedizin als Fäkalindikator dient. Wo Escherichia Coli klebt, da klebt auch Kot. Es handelt sich um den häufigsten Verursacher menschlicher Infektionskrankheiten.
Ich seife mir die Hände, trockne sie am Papiertuch. Stoffhandtücher, gleich welchen Materials, Baumwolle oder Polyester, sind eine Brutstatt für Keime. Machen Sie Ihren Zahnarzt darauf aufmerksam.

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IBP 2018 TEXT Sievers Der naechste Bitte
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