Keine Begeisterung für Text von Daniel Goetsch

Der Schweizer Autor Daniel Goetsch las auf Einladung von Hildegard E. Keller den Romanauszug „Der Name“. Die Jurymeinung war durchwegs verhalten. Keller verteidigte ihren Autor, konnte die Jurykollegen aber nicht überzeugen.

Es ist eine autoreferenzielle Geschichte über einen Autor, der eine Bekanntschaft in einen Text verwandelt. Der Schriftsteller Maxim Diehl schreibt über einen Amerikaner, der ursprünglich kein Amerikaner war. Jack Quintin ist gleichzeitig Objekt und auch Subjekt der Geschichte über seinen Flirt mit der damals neunzehnjährigen Paula. Um das Kriegsende herum ließ er sich auf sie ein, nie sicher, ob er ihr trauen könne. In einem Moment der Klarheit erkannte er sein eigenes Identitätsdilemma. Der Name, Zeugnis seiner neuen Identität, scheint dem Autor seiner Geschichte der falsche zu sein. Damit endet der Romanauszug.

Daniel Goetsch

ORF/Johannes Puch

„Konstruktion verschiedener Identitäten“

Hubert Winkels erinnerte die Struktur der Geschichte ein wenig an den Text Wrays, ein Autor sei auf der Suche nach einer eigenen Geschichte. Keine der Figuren habe eine eindeutige Identität, auch das Zwischenglied Quintin bestehe in nichts als dessen Beziehung zu Diehl. Das Verschieben des Begehrens eine Autobiographie zu schreiben, führe zu einer schweren historischen Konstellation, das Ganze sei sozusagen die Konstruktion verschiedener Identitäten. Der Juryvorsitzende zweifelte daran, dass dieses Spiel im Umfang eines Romans funktionieren könne.

Zweifel an Klugheit der Textwahl

Klaus Kastberger zufolge habe der Text klargemacht, er brauche epische Breite. Er würde Winkels Recht geben, die Thematik brauche Strenge und er tue sich schwer, den Text als Auszug zu beurteilen. Es sei schon plausibel gemacht, doch bleibe fraglich, ob es klug war, diesen Auszug für den Vortrag zu wählen. Meike Feßmann mochte Winkels Erläuterung der Anlage des Texts. Der Erzähler eigne sich den Stoff des Amerikaners an, Diehl sei der Autor von Quintins Geschichte. Sie empfand einige Stellen im Text als parodistisch, doch sei dies eher die Folge von Stilunsicherheit als ein gewollter Kniff.

Daniel Goetsch

ORF/Johannes Puch

Keller verteidigt ihren Autor

Nach diesen weniger wohlwollenden Beurteilungen erörterte Hildegard Keller zunächst, wieso sie den Text eingeladen hatte. Laut ihr gehe es ums Versagen auf mehreren Ebenen. Das Versagen des Autors Diehl sei das Versagen nach anfänglichem Erfolg als Dramatiker. Er sei in eine Schaffenskrise geraten, um sich aus der Krise herauszuschreiben, habe er mit seiner Autobiographie begonnen. Dieser Plan scheine aber nicht so tiefe Wurzeln zu haben, der Amerikaner fessele sein Interesse mehr als die eigene Biographie, daher komme es zur Identitätsauslagerung.

Elisabeth Keller

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Hildegard E. Keller

Diehl versinke in Fluchtmechanismen. Der Text sei stringent erzählt und beruhe auf einer wahren Geschichte, verwoben mit vielen fiktionalen Elementen. Zu Feßmanns Einwand meinte sie, man müsse sich in die fünfziger Jahre hineinversetzen und dürfe den Text nicht als parodistisch verstehen.

Feßmann wollte daraufhin wissen, wie man denn den Text zeitlich einordnen solle. Laut Sandra Kegel lasse der Text diese Frage offen. Feßmann fasste ihr Unbehagen mit dem Text zusammen und meinte, ein Autor suche einen Stoff, ein Erzähler suche einen Stoff, „das ist keine gut erzählte Geschichte“.

„Klischees enttäuschen“

Stefan Gmünder interessierte sich für die Unterscheidung zwischen Gedächtnis und Erinnerung, Erinnerung sei nämlich die Auseinandersetzung mit etwas, was Wertigkeit besitze. Er spüre die Recherche im Text, die vorhandenen Klischees würden ihn enttäuschen. Einige Dinge hätten das Potential sich zu entwickeln, doch insgesamt sei der Text nicht überzeugend.

Gmünder

ORF/Johannes Puch

Stefan Gmünder

Dem schloss sich Kegel an und sagte, der Text sei viel zu konventionell erzählt. Inhaltlich und sprachlich sei er nicht stark genug. „Diehl macht einen Deal mit dem Amerikaner“, letztlich sei es die Geschichte darüber, dass einer eine Geschichte habe und der andere sich seiner Geschichte nicht sicher sei. Sie störte sich auch an einzelnen Formulierungen, die insgesamt nicht überzeugend seien. Winkels erinnerte daran, man könne nur darüber urteilen, was da vorliege. Es stehe ihnen nicht zu, zu mutmaßen, was der Text sonst noch beinhalte. So wie sie ihn hier vor sich haben, funktioniere der Text nicht.

„Es fehlen zuviele Qualitäten“

Gmünder lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf die Qualitäten des Auszugs, die durchaus vorhanden seien, doch Kastberger meinte abschließend, es würden ihnen zu viele Informationen fehlen, um den Text adäquat beurteilen zu können. Am Ende des ersten Lesetages äußerte Kastberger seine Freude über die diesjährige Strenge der Jury und die noch bevorstehenden Diskussionen.

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