Elias Hirschl
Petra Weixelbraun
Petra Weixelbraun

TEXT Elias Hirschl, A

Elias Hirschl liest auf Einladung von Klaus Kastberger den Text „Staublunge“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf.

Marthas Mittagessen kommt zu spät, weil der Rabbiz-Fahrer 200 Meter vor unserem Büro mit einem LKW zusammengestoßen ist. Jetzt liegt er regungslos auf dem kalten Asphalt neben seinem Rad, umgeben von unschlüssigen Passanten, die sich gegenseitig fragen, ob schon jemand einen Krankenwagen gerufen hat, sonst würden sie jetzt nämlich vielleicht mal einen rufen. Ob das taktlos wäre, fragt Martha, wenn sie da jetzt einfach schnell runtergehen, sich ihre Sommerrollen aus dem Rucksack des Fahrers nehmen, ihm 50 Cent Trinkgeld hineinwerfen und wieder hochkommen würde? Wäre das taktlos?
Ich habe währenddessen schon wieder angefangen an meinem Artikel über die Top Ten der lustigsten Tierfotos des vergangenen Jahres zu arbeiten.

Andererseits kann das Essen nicht kalt werden, sagt Martha, weil Sommerrollen ja schon kalt sind. Ich überfliege den Artikel grob auf Rechtschreibfehler, schicke ihn ab und fange mit dem nächsten über die zehn traurigsten Promi-Trennungen an. Hinter mir explodiert etwas, als Cory vom Videodepartment versucht, zwei Weintrauben dabei zu filmen, wie sie in der Mikrowelle einen Plasmazustand erzeugen. Wobei das Reispapier unangenehm zäh wird, wenn man es zu lange in der Styroporverpackung lässt, sagt Martha und lässt sich mit dem Laptop auf dem Schoß in einen Sitzsack fallen. Mhm, sage ich, formuliere ein paar Zeilen um, damit die Plagiatssoftware nicht anschlägt, schicke den Artikel ab und beginne mit einem neuen über die zwölf rätselhaftesten UFO-Sichtungen. Er bewegt sich wieder! Gott sei Dank!, ruft Martha und legt sich ihre Serviette zurecht. Ich schaue durch das Fenster nach unten. Die Menschenmenge macht dem lädierten Fahrer Platz, der sich unter Schmerzen auf sein Rad hievt und den Rest des Weges im Schritttempo zurücklegt. Mein Handy vibriert und ich schicke den nächsten Artikel ab.

Das Date ist am Stadtrand. Jonas muss mir die Tür nicht öffnen, weil es keine Tür gibt. Die Firmenzentrale der Same Day Crew befindet sich im Osten der Staublunge, kurz vor der Autobahn im ehemaligen Lagerhaus einer stillgelegten Steinkohle-Zeche. Eine Schlagwetterexplosion hat den Förderturm einknicken lassen und die Fenster des Lagers nach innen zerrissen. Zwei Dutzend Bergleute starben im Feuer, das erst erlosch, als man drei Jahre später die Schächte fluten ließ. Die Luft ist immer noch schwer vom Kohlestaub. Bis unter den Dachboden geht man wie auf einem Teppich.
Auf Tinder bezeichnet sich Jonas als Entrepreneur, Feminist und Mensch, in keiner bestimmten Reihenfolge. Er hat seine Pronomen nicht angegeben, weil er sich allgemein aus Pronomen nichts macht. Seine Ausbildung war die Schule des Lebens und ein 2,3 Abitur und auf seinen Fotos – Selfie, Hochformat, leicht angeschrägt – fährt er sich am Strand, auf einem Berggipfel oder auf einem Hausdach bei Sonnenaufgang verwegen durch seine halblangen, braunen Haare. Sein Motto ist: Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie was man bekommt. Ich habe den Satz zehnmal hintereinander lesen müssen, bis ich verstanden habe, dass es einfach das unironische Originalzitat ist.

Ich habe „Hey“ geschrieben.

Er hat „Hey na“ geschrieben.

Wir haben uns für sieben bei ihm verabredet.

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