Jurydiskussion Katerina Poladjan

Katerina Poladjan las den Text „Es ist weit bis Marseille“, eine Familiengeschichte voller Erinnerungen. Sie wurde von Meike Feßmann nach Klagenfurt eingeladen. Der Text schied die Meinungen der Jury, wurde aber überwiegend positiv aufgenommen.

Zum einen ist es die Geschichte eines Sohnes, der den Tod des Vaters noch nicht überwunden hat. Zum anderen die Geschichte seiner Mutter, die zum ersten Mal nach dem Tod ihres Mannes wieder mit einem Mann schläft. Ein One-Night-Stand, von dem sie sich am nächsten Morgen davonschleicht. Der Liebhaber, ein Franzose, macht sich im Liebestaumel auf die Suche nach ihr und findet seinen Tod in einem heftigen Unwetter im Gebirge.

Jury Poladjan Katerina 2015

Johannes Puch

Winkels: Zu stark aufgeladen

Für Jury-Vorsitzenden Hubert Winkels war der Text „zu stark aufgeladen“. Von einer Sexszene in eine Familiengeschichte mit existenziellen Ängsten überzugehen, um schließlich in einer Todesszene zu enden glich für ihn dem „Missbrauch eines One-Night-Stands“.

Keller: „Text will viel“

Hildegard Keller schloss sich dieser Kritik an: „Der Text will zu viel und hält nicht zusammen“. Man erkenne nicht, welche Figur im Zentrum steht und was der Text sein wolle.
Die Jury-Mitglieder waren sich insgesamt uneins, ob die einzelnen Perspektiven der Figuren in dem Text sich zu einem großen Ganzen verbinden, oder doch nur einzelne Erzählstränge sind.

Jury Poladjan Katerina 2015

Johannes Puch

Lob bekam Poladjans Text von Juri Steiner, der ihn „französisch liest“. Für ihn ging es hier um die großen Ängste des Menschen: Tod, Liebe und Wahnsinn. Der von ihm angeregte Diskussion darüber, ob in der Sexszene nun tatsächlich Sex stattgefunden habe oder nicht, kamen die anderen, schmunzelnden Jury-Mitglieder, nicht weiter nach.

Jury Poladjan Katerina 2015

Johannes Puch

Gmünder: „Stringent und schön erzählt“

Jury-Neuzugang Stefan Gmünder war gespaltener Meinung. Einerseits sei die Geschichte „stringent und schön erzählt“, andererseits beinhalte sie zu viele Effekte, und „schießt sich selbst ins Knie“. Was ihm gefiel, war der neue Zugang zu einer alten Geschichte: Eine Frau schläft mit einem Mann und verschwindet am nächsten Morgen, fast ohne Spuren zu hinterlassen.

Klaus Kastberger hätte als ersten Text der 39. TDDL gerne einen „grottenschlechten“ Text gehört, wurde aber, im positiven Sinne, enttäuscht. Der Text sei "ganz ok“, meinte er: „Er ist ein wenig brav, und könnte kratzbürstiger sein“.

Sandra Kegel gefiel die „Poetik der Begegnung“, sie fühlte sich an ein Lied von Eric Clapton erinnert, „sprachlich sei der Text aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben“.

Jury Poladjan Katerina 2015

Johannes Puch

Feßmann: „Stück Prosa mit schönen Bildern“

Noch ein Vergleich mit einem großen Musiker: Meike Feßmann, die Katerina Poladjan zur Lesung eingeladen hatte, war erwartungsgemäß begeistert, verteidigte die Poetologie der Atmosphäre und empfand Poladjans Roman-Auszug als „stimmungsstark, wie ein Trompetenstück von Miles Davis“. Ein Stück Prosa mit schönen Bildern, das von dem Leser Geduld und Zeit fordert, und ihm im Gegenzug dafür Platz biete, eigene Erfahrungen einzubringen.

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