Penne, Hasen und Kriegserinnerungen

Einige Texte wurden am ersten Lesentag - wenn auch nicht einhellig - von der Kritik gelobt. Deren Inhalte (Nudeln, Hasen und der Jugoslawienkrieg) könnten aber nicht unterschiedlicher sein. Gut an kamen Stefanie Sargnagel, Marko Dinic und Selim Özdogan.

Zugegeben: So ganz begeistern konnte sich die Jury an diesem ersten Lesetag für keinen der fünf antretenden Autoren. Das „Gesamt-Menü“ an Tag 1 überzeugte aber trotzdem. Für den Wettbewerb war es „ein guter Tag, ein lebendiger Tag“, wie Michael Schmidt von 3sat das allgemeine „Klagenfurt Feeling“ nach Ende dieses Lesetages zusammenfasste. Sein profunder Befund nach immerhin 22 Jahren „Lesen Live“? „Es soll so weitergehen“.

Was zu erwarten war: Sargnagel polarisiert

Rasant als erste ins Rennen ging Stefanie Sargnagel, die einzige österreichische Teilnehmerin am Ingeborg-Bachmann-Preis 2016. Die Autorin wurde den Erwartungen voll gerecht - und polarisierte: Sargnagel erfuhr viel Lob, aber auch einiges an Ablehnung. Und: Auch wenn sie es am Mittwoch bei der Eröffnung nach Verkündigung der Lesereihenfolge zunächst wohl nicht ganz wahrhaben wollte: Sie gilt damit für die heimischen Literaturfans als Hoffnungsträgerin für eine „österreichische“ Preisträgerin.

Sargnagel Lesung

Johannes Puch

Stefanie Sargnagel

„Literatur als große Blähung“

Sargnagel las den Text „Penne vom Kika“ - Jurydiskussion Stefanie Sargnagel.

Hubert Winkels wagte den Anfang. Der Text („ganz schön heftig für 10.00 Uhr morgens“ - „Literatur als große Blähung“) sei ein „Text über das Schreiben eines Textes für den Bachmannpreis“ - und damit nichts wirklich Neues. Gleichzeitig sei er aber auch dessen Gegenteil: Es gehe „raus aus der Hochkultur-Hölle und rein in die Subkulturvorstand-Kneipe“.

„Diese zerrissenen Typen aus Wien: Da kann Faust einpacken“, hieß es von Sandra Kegel. Der Text „ihrer“ Autorin werde getragen von seiner „monströser Fokussierung“ auf das Ich, das später „zerplatzt wie eine Christbaumkugel“.

Meike Feßmann dagegen war gar nicht begeistert und wollte den Text („So ein Quasselmodus“) „auf den Boden herunterholen“ was ihr wegen des heftigen Widerstandes der Jurykollegen aber nicht ganz gelingen wollte, auch wenn ihr Stefan Gmünder gegen die „interpretatorische Rudelbildung“ beisprang und meinte: „Man soll nicht alles glauben, was man denkt.“

Nur Schweizer Juroren lobten deutschen Autor

Nach Sargnagel war der Deutsche Sascha Macht mit seinem Text „Das alte Lied von Senor Magma“ an der Reihe. Er erzählt die Geschichte eines entlassenen Uni-Professors in einem südamerikanischen Land. Die Jury konnte sich auch hier mehrheitlich nicht begeistern. Meike Feßmann ortete „sprachliche Indifferenz“, Klaus Kastberger „Campus-Prosa“ mit einem „Zuviel an Bedeutungsschwere“, Sandra Kegel einen „seltsamen Konservativismus“, während der Text „in jeder Ritze das Katastrophische, das Apokalyptische“ atme. Hubert Winkels befand: Eine „vollkommene Überdetermination durch Katastrophenszenarien“.

Ähnlich Juri Steiner: „Viel zu viel, viel zu groß!“ Stefan Gmünder dagegen las den Text „durchaus mit Gewinn“, Hildegard Keller, die Sascha Macht eingeladen hatte, ortete eine „sehr präzise Sprache“, mit der eine eigene „Welt“ erschaffen werde. Die drei Schweizer in der Jury beurteilten diesen Text interessanterweise damit völlig anders als ihre österreichischen und deutschen Kollegen - mehr dazu in Jurydiskussion Sascha Macht.

TDDL 2016 Sascha Macht

ORF/Johannes Puch

Sascha Macht

Viel Lob für Dinic` serbische Songeinlage

Marko Dinic, ein in Salzburg lebender gebürtiger Wiener mit serbischem Pass, beendete die erste Vormittags-Session mit einem „Als nach Milosevic das Wasser kam“ betitelten Auszug aus einem Roman. Es sind die Erinnerungen eines Maturanten an das NATO-Bombardement von Belgrad 1999 - zu einer Zeit als der Ich-Erzähler ein elfjähriger Schüler war, der Milosevic liebte „weil mein Vater, der Trottel, ihn auch liebte“.

Der Text ist auch eine - von Dinic mit viel Emotion vorgetragene und mit serbischen Songeinlagen garnierte - bittere Abrechnung des Sohnes mit seinem Vater, der dem damaligen Regime als Beamter dient und der guten, alten Zeit nachtrauert - mehr dazu in Jurydiskussion Marco Dinic.

Als „unglaublich klar und sehr profiliert“, lobte Hubert Winkels den Text. Die „Beschränkung der Erzählperspektive“ lobte Meike Feßmann als Qualität des Textes, der sie „sehr überzeugt“ hätte. Stefan Gmünder war in diesem Fall „sehr beeindruckt, wie mit historischen Themen umgegangen wird“. Sandra Kegel fand „eindringliche Bilder“: „Gehen und Erinnerung werden eng geführt.“ Auch Juri Steiner gefiel der Text, fand es allerdings schade - ebenso wie Hildegard E. Keller, die auch „falsches Pathos“ ortete - dass der Erzähler „am Ende den Bus verpasst“.

TDDL 2016 Marko Dinic

ORF/Johannes Puch

Marko Dinic punktete auch mit einer Gesangseinlage.

Auch Schneider begeisterte nicht wirklich

Der Deutsche Bastian Schneider las auf Einladung von Stefan Gmünder seinen Text „MEZZANIN“. Von „Halbstück“ über „Pizzastück“ und „Mundstück“ über „Bruchstück“ („Ich spreche gebrochen und breche gesprochen entzwei.“) bis hin zu „Schlußstück“ reichen Bastian Schneiders 29, mitunter nur einen Satz langen Kurztexte, die in der Form sein im Frühjahr erschienenes Prosadebüt „Vom Winterschlaf der Zugvögel“ fortführen.

Die Rede fällt dabei auf Schuhe und Handschuhe, auf alltägliche Beobachtungen in der U-Bahn, auf der Straße, auf dem Markt und am Flohmarkt, in Bars und Tanzbars. Meike Feßmann riet dem Autor noch zu üben, Hubert Winkels befand gar ein „scheußliches Pizzastück“. Elisabeth Keller lobte einige Stücke als Haikus, andere „entzögen“ sich. Sandra Kegel sinnierte darüber, ob es vielleicht ein Problem sei, wenn ein Deutscher über eine österreichische Stadt schreibe - mehr dazu in Jurydiskussion Bastian Schneider.

Klaus Kastberger

Johannes Puch

Bastian Schneider

„Mein Freund Harvey“ am Nachmittag

Als letzter Autor las Selim Özdogan (TUR). In seinem in der Zukunft spielenden Text erzählt er von einem eingebildeten Hasen („Kopfkino“), der dem Ich-Erzähler, Sohn eines im Alter von 28 Jahren verstorbenen erfolgreichen deutschen Autors, zwölf Jahre lang erscheint. Ein indischer Germanistik-Student hilft dem Erzähler, die mit einem Passwort geschützte, vom Vater hinterlassene Festplatte zu knacken. Allmählich wird klar, dass der Vater ein Betrüger war, der seine erfolgreichen Romane aus ihm zugelieferten Rohfassungen geschrieben hat. Der Hase des Sohnes verschwindet. „Und jetzt sehe ich die Hasen der anderen.“

Selim Özdogan

Johannes Puch

Selim Özdogan

Diesen Hasen ließen sich nicht alle „aufbinden“

Özdogans „Hase“ entzweite erneut die Jury. Während sich Hildegard Keller für „ein starkes Stück, ein tollkühnes Stück, ein Zauberstück“ begeisterte und in Stefan Gmünder, Hubert Winkels und Juri Steiner („Erinnert mich an ‚Mein Freund Harvey‘“)Mitstreiter fand, ließen sich Sandra Kegel („Lässt mich seltsam kalt“), Klaus Kastberger („Ich zweifle an der Zauberkraft dieses Hasen“) und Meike Feßmann („Miserabel konstruiert“) keinen Hasen aufbinden - sie äußerten sich deutlich kritischer - mehr dazu in Jurydiskussion Selim Özdogan.

Am Freitag lesen Julia Wolf, Jan Snela, Isabelle Lehn (vormittags) und der Israeli Tomer Gardi sowie Sylvie Schenk (nachmittags). Den Abschluss machen am Samstag Ada Dorian, die in London geborene Sharon Dodua Otoo, Astrid Sozio sowie als Letzter der Schweizer Dieter Zwicky. Der Bachmann-Preis und die anderen Preise werden am Sonntag vergeben.

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